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Allsprach



Allsprach ist eine Sprache, die es eigentlich nicht geben dürfte und doch in den Träumen jener Menschen erscheint, die nachts mit offenen Gedanken schlafen. Es ist keine Sprache, die jemals niedergeschrieben wurde, keine, die sich in Wörterbüchern finden lässt oder in den Geräuschen bekannter Dialekte anklingt, sondern eine, die im Innersten entsteht, dort, wo Gefühle, Erinnerungen und ungesagte Wünsche sich begegnen. Allsprach ist nicht erfunden worden, sie ist einfach da, uralt und doch zeitlos, wie der Klang des Windes in alten Bäumen oder das leise Zittern der Luft vor einem Sommergewitter. Diejenigen, die Allsprach sprechen, tun das nicht mit Absicht, sondern aus Notwendigkeit, oft ohne es zu bemerken. Wenn ein Kind weint und eine fremde Hand es tröstet, ohne dass ein Wort fällt, ist das Allsprach. Wenn zwei Menschen aus verschiedenen Welten sich anschauen und sofort wissen, dass sie sich verstehen, ohne einen einzigen Satz, dann hat Allsprach gesprochen.

Es heißt, Allsprach hat kein Alphabet, weil Buchstaben zu klein sind, um das zu tragen, was sie sagen will. Stattdessen fließt sie durch Töne, Gesten, Blicke, durch Farben, Düfte, Erinnerungsfetzen. In Allsprach sagt ein Zittern in der Stimme mehr als hundert Wörter, und das Schweigen kann lauter sein als ein Schrei. Wer Allsprach spricht, sagt oft Dinge, die er selbst nicht begreift, weil die Sprache weiß, was das Herz noch nicht aussprechen kann. Und dennoch wirkt sie nie fremd oder beängstigend, sondern vertraut, wie ein Lied, das man schon einmal gehört hat, vielleicht in einem früheren Leben oder in jenem Zwischenraum zwischen Wachsein und Schlaf, in dem alles möglich scheint.

Allsprach ist besonders in Momenten stark, in denen die üblichen Worte versagen. Wenn das Glück zu groß ist, um es zu beschreiben, oder der Schmerz so tief, dass jede Silbe nur daneben greifen würde, dann öffnet sich ein innerer Raum, in dem Allsprach fließen darf. Manche nennen das Magie, andere Intuition, wieder andere schweigen einfach, weil sie spüren, dass das Gesagte nicht mehr ausreichen würde. In der Welt von Allsprach sind alle Sprachen enthalten und gleichzeitig keine. Ein einziger Laut kann die Bedeutung von Heimat, Sehnsucht und Abschied zugleich tragen, und ein einziger Blick kann ein ganzes Gespräch ersetzen.

In alten Legenden wird erzählt, dass es einst ein Volk gab, das ausschließlich in Allsprach lebte. Sie nannten sich selbst die Erinnerer, denn ihre Worte waren nicht dazu da, neue Gedanken zu formen, sondern alte Wahrheiten zu erinnern, die jeder Mensch in sich trägt, auch wenn sie oft verschüttet sind unter den Geräuschen des Alltags. Die Erinnerer verschwanden irgendwann, vielleicht weil sie zu leise waren für eine Welt, die lauter und schneller werden wollte. Doch Allsprach blieb. Sie versteckt sich in Liedern, die niemand ganz versteht, in der Berührung eines geliebten Menschen, in den Träumen jener, die noch zuhören können. Und vielleicht, wenn man eines Tages mit jemandem lacht, den man gerade erst kennengelernt hat, und man weiß nicht, warum dieses Lachen sich anfühlt wie Heimkommen, dann war es Allsprach, die da sprach – nicht laut, nicht sichtbar, aber tief genug, um alles zu bedeuten.

Created by potrace 1.15, written by Peter Selinger 2001-2017
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